In der Ausgabe Juli 2013 widmete sich Finanztest dem Thema Berufsunfähigkeitsversicherung (BUV) und nahm 75 BU-Angebote näher unter die Lupe.
Ich bin mir sicher, dass der ein oder andere interessierte Verbraucher, welcher gerade vor der Wahl einer für sich geeigneten Berufsunfähigkeitsversicherung steht, die Informationen des Artikels für seine Entscheidungsfindung heranzieht.
Aus meiner Sicht sind allerdings einige Punkte in diesem Finanztestartikel inhaltlich zu bemängeln. Auf die meiner Meinung nach wichtigsten gehe ich in diesem Blog nun teilweise ein…
Von vornherein sollte aber jedem Interessenten einer BUV klar sein, dass ein pauschaler Test / Vergleich niemals eine Beratung, und Vermittlung durch einen unabhängigen Versicherungsmakler ersetzen kann. Warum nicht?
Zum einen hat Jeder andere Vorstellungen und Wünsche z.B. zur Rentenhöhe, Versicherungsdauer, und natürlich zu den am Markt „kaufbaren“ Bedingungklauseln. Damit sich ein Verbraucher entscheiden kann was er genau haben möchte, muss er/sie aber meines Erachtens zunächst einmal wissen, was es alles an Versicherungsschutz zu kaufen gibt, und vor allem wie sich die verschiedenen Klauseln / Bedingungsaussagen im BU-Leistungsfall auswirken können bzw. was sie bedeuten.
Danach fällt es wesentlich leichter einen passenden Schutz / Vertrag zu finden.
Zum anderen hat jeder Kunde eine individuelle Historie (z.B. Gesundheitsvorgeschichten, Hobbys, Ausbildung, bestehende Versorgungsansprüche, Vorverträge etc.) und eine persönliche Zukunftsplanung (z.B. berufliche und familiäre Entwicklung), die den Auswahlprozess einer „passenden“ Berufsunfähigkeitsabsicherung sehr oft individuell und beratungsintensiv ausfallen lässt.
Hinzu kommt noch, dass viele Versicherungskunden wichtige Dinge bei der Vertragsabwicklung aus Unwissenheit übersehen, wie ich in einem meiner Blogartikel „5 wichtige Dinge die beim Abschluss einer BU oftmals vernachlässigt werden“ bereits geschrieben habe.
Aber nun zurück zum Finanztestartikel über Berufsunfähigkeitsversicherungen der Ausgabe 07/2013
Finanztest hat laut eigenen Angaben, Zitat:
„(…) alle in Deutschland niedergelassenen Versicherer gebeten (…) ihre preiswerteste Berufsunfähigkeitsversicherung für frei Modellkunden vorzulegen, die sie in der täglichen Praxis anbieten (…)“.
Nur wurden nicht alle Versicherer bei dem Test bewertet. Einige lehnten ohne Begründung die Teilnahme ab. Darunter sind meiner Meinung nach teilweise auch sehr interessante Berufsunfähigkeitstarife, welche aber dadurch gar nicht erst im Vergleich auftauchen.
Andere Anbieter überarbeiten Ihre Produkte zur Zeit und nahmen deshalb nicht teil. Die Aussage im Finanztest, dass die Standard Life Versicherung erst gar keine BU-Absicherung in Ihrem Portfolio hat, stimmt so übrigens nicht. Die Standard Life bietet eine BU-Absicherung allerdings zur Zeit (Stand 26.06.2013) nur in Kombination mit einem Altersvorsorgeprodukt an.
Warum verwendete Finanztest bei der Aufforderung an die Versicherer ein Angebot zu erstellen eigentlich den Begriff „preiswerteste Berufsunfähigkeitsversicherung“ ? Ich persönlich hätte zunächst einmal den BU-Tarif mit den umfangreichsten Leistungen angefordert…
Von den 75 getesteten BUV-Tarifen bewertet Finanztest 58 mit „SEHR GUT“. Wie kommt das zustande? Unterschiede sich die Angebote wirklich nicht so gravierend voneinander?
Meiner Ansicht nach tun sie das sehr wohl. Doch verwendete Finanztest nur eine vergleichsweise kleine Auswahl an Kriterien für die Bewertung der Versicherungsbedingungen (Quelle „So haben wir getestet“ aus dem besagten Artikel).
Die Inhalte der Vertragswerke wurden mit 70% gewichtet. Darüber hinaus flossen die Ausgestaltung von Antragsfragen zu 20% in die Bewertung ein. Die restlichen 10% der Bewertung setzte sich aus den maximal möglichen Endalter / versicherbare Berufe zusammen.
Fangen wir mit dem letzten Punkt, dem möglichen Endalter an. Hierzu wurden laut Finanztest 27 „häufig ausgeübte Berufe“ herangezogen und bei den Versicherern die maximale Risiko- und Leistungsdauer bewertet. Wenn ein Tarif einzelnen Berufen nicht offen steht, dann wurde dies negativ gesehen. Hier frage ich mich, warum das überhaupt in einen Vergleich mit einfließen muss?
Hätte ein Kunde 3-4 Tarife / Anbieter zur Auswahl, die seinen Anforderungen an das Bedingungswerk entsprechen gefunden, könnte man doch anfragen, ob die gewünschten Anbieter diesen Beruf versichern, und wenn, unter welchen Voraussetzungen (maximal mögliche Leistungsdauer, Versicherungsdauer usw.).
Ganz nebenbei bemerkt kann ein Versicherungsmakler, der im Thema BU fit ist, über eine individuelle Risikovoranfrage (Ausschreibung vor Vertragsabschluss) natürlich auch bei den gewünschten Versicherern erfragen, wie die Hobbys, die berufliche Tätigkeit, die gesundheitliche Vorgeschichte eingestuft werden würde, und welche maximale BU-Rentenhöhe und Vertragsdauer möglich wäre.
Warum Finanztest hier rät diesen Prozess selbst in die Hand zu nehmen erschließt sich mir nicht (Quelle: „Der Weg zur Police“). Können hier doch so einige Fehler passieren.
Richtig interessant wird es, wenn wir uns die 9 Finanztest-Kriterien der Versicherungsbedingungen, also dem eigentlichen Herzstück der Verträge ansehen. Bekannterweise sind in den Vertragswerken ja die Regeln vorzufinden, die im Leistungsfall positive oder negative Konsequenzen für den Kunden haben können.
Die 9 von Finanztest bewerteten Bedingungsthemen beziehen sich auf die Stichpunkte:
Verzicht auf abstrakte Verweisung / Prüfung von Vorberufen im BU-Fall
Anmerkung: In den Ausführungen von Finanztest habe ich nicht ersehen können, ob die abstrakte Verweisungsmöglichkeit des Versicherers nur für die Erstprüfung des Leistungsfalls oder auch für die Nachprüfung in die Bewertung mit einfloss. Es bleibt auch offen, ob Regelungen bei Ausscheiden aus dem Berufsleben berücksichtigt wurden?
Sechs-Monats-Prognose
Rückwirkende Leistung in den ersten sechs Monaten
Rückwirkende Leistung für mindestens drei Jahre
Nachversicherungsgarantie
Anmerkung: Alleine hierzu sind auf dem Markt sehr viele unterschiedliche Regelungen zu finden, zum Beispiel hinsichtlich der Definition der Ereignisse, der maximal möglichen Anpassung, der BU-Rentengrenze ab wann die Optionsrechte verfallen, Zeitpunkte an denen Erhöhungen möglich sind und so weiter…
Stundungsrecht im Leistungsfall
Befristete Anerkenntnisse
Verzicht auf § 19 Abs. 3 und 4 VVG bei schuldloser Anzeigepflichtverletzung
Weltweite Deckung
Ich frage mich ernsthaft, wieso Finanztest nur 9 Bedingungsthemen bewertet, wo es doch eine Vielzahl an weiteren Kriterien gäbe, die vielleicht für Kunden von Bedeutung sein können. Hier ein paar stichpunktartige Beispiele (keine abschließende Aufzählung, denn es gibt noch mehr):
Verzichtet der Versicherer auf die Anwendung des § 163 VVG (Versicherungsvertragsgesetz)? Finanztest schreibt in der Ausgabe 07/2013, Zitat:
„Netto- und Bruttobeitrag (…) Ohne erwirtschaftete Überschüsse müssen Kunden maximal den Bruttobeitrag zahlen (…)“
Diese Aussage ist so nicht ganz korrekt! Im § 163 VVG steht nämlich sinngemäß, dass unter gewissen Voraussetzungen der Versicherer auch die Bruttobeiträge erhöhen kann. Es sei denn der Versicherer verzichtet in seinem Bedingungswerk auf die Möglichkeit der Anwendung nach § 163 VVG.
Welche Regelungen sieht der BU-Tarif für die konkrete Verweisung auf eine andere Tätigkeit vor, beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen darf der BU-Versicherer die Leistung im Falle einer konkreten Ausübung einer neuen Tätigkeit einstellen?
Gibt es im Bedingungswerk eine Klarstellung für den Begriff der „bisherigen Lebensstellung“?
Welche Regelungen sieht das Bedingungswerk im Falle einer Berufsunfähigkeit von Selbständigen / Freiberuflern vor? In welchem Falle ist eine Umorganisation nicht zumutbar bzw. wann muss der Betrieb nicht umorganisiert werden?
Welche Möglichkeiten hat der Versicherer bei Angestellten mit Direktionsbefugnissen eine Umorganisation des Arbeitsplatzes zu verlangen?
Wie genau sehen die Mitwirkungspflichten des Kunden im Falle einer Berufsunfähigkeit aus? Wie ist z.B. die sogenannte Arztanordnungsklausel definiert?
Wann genau müssen dem Versicherer im BU-Leistungsfallbezug gesundheitliche Verbesserungen gemeldet werden, oder verzichtet der Versicherer komplett auf die Meldepflicht des Kunden?
Welche bedingungsgemäßen Grundsätze sind für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit im Vertragswerk verankert?
Sieht der Versicherer bei vorübergehenden oder längerem Ausscheiden aus dem Berufsleben andere Prüfungskriterien im BU-Leistungsfall vor?
Besteht die Möglichkeit eine vertraglich garantierte Steigerung der versicherten Rente im Berufsunfähigkeitsleistungsfall zu vereinbaren?
Wie genau sehen die Regelungen zu den dynamischen Steigerungen vor dem Leistungsbezug aus? Wie lange sind diese beispielsweise möglich? Wie oft können diese hintereinander ausgesetzt werden ohne das Recht auf die dynamische Steigerung ohne Gesundheitsprüfung zu verlieren etc.?
Können einmalige Sonderzahlungen, z.B. bei Eintritt der erstmaligen Berufsunfähigkeit vereinbart werden? Sieht der Tarif eine Wiedereingliederungshilfe vor?
Welche Leistungsausschlüsse sind im Vertrag hinterlegt? Sind beispielsweise vorsätzliche Verkehrsdelikte mitversichert? Gibt es einen generellen Ausschluss für Terrorereignisse usw.?
Wird die vereinbarte Leistung auch bei eintreten anderer Ereignisse gewährt (Stichwort Infektionsklausel, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Bescheid eines Sozialversicherungsträgers, Dienstunfähigkeit etc.)? Und wie sind diese genau definiert und gibt es eine Parallel- bzw. Günstigerprüfung?
Gibt es eine Lösung für den Übergang von Krankentagegeld- auf Berufsunfähigkeitrentenleistung?
…um ein paar zu nennen.
Einige Kollegen waren bereits in Ihren Blogs schneller wie ich. So äußerten sich z.B. Matthias Helberg oder Wladimir Simonov wie ich finde mit guten Ausführungen zu dem Berufsunfähigkeitstest. So wurde Finanztest schon kurz nach Veröffentlichung mit Kritik konfrontiert. Dabei wurde auch auf Kriterien, die anscheinend nicht, oder kaum in die Bewertung mit einflossen hingewiesen.
Finanztest nahm zu den Äußerungen am 26.06.2013 Stellung, und schrieb u.a., Zitat:
„Alle beanstandeten Prüfpunkte untersucht
Kritisiert wurde in den letzten Tagen, dass die Stiftung Warentest bei der Bewertung entscheidende Kriterien nicht berücksichtigen würde. Die relevanten der als fehlend beanstandeten Prüfpunkte wurden in der Untersuchung ebenfalls überprüft. Im Ergebnis gab es hierbei aber keine gravierenden Auffälligkeiten. Darüber hinaus wurden die in Frage stehenden Punkte nicht als weitere Prüfkriterien in die Bewertung aufgenommen, da die Stiftung Warentest diese im Vergleich zu den heran gezogenen Prüfkriterien als zu speziell oder weniger wichtig erachtet im Hinblick auf ein mögliches Existenzrisiko des Versicherten bei Berufsunfähigkeit. Daher finden diese Punkte auch keine Erwähnung im Text. Trotzdem gilt: Hätte die Stiftung Warentest bei der Prüfung dieser Punkte gravierende Nachteile oder Auffälligkeiten für viele Kunden gefunden, so hätte sie darüber in der Tabelle oder im Text berichtet. Dem war aber nicht so.“ Zitat Ende.
Also entscheidet jetzt Finanztest welche Punkte wichtig oder „gravierend“ sind, oder der Kunde der das Produkt BU am Ende kauft?
Unterschiedliche Meinungen über die Wichtigkeit einzelner Kriterien kann es selbstverständlich geben, keine Frage.
Wie gesagt muss man meiner Meinung nach erst einmal vorab alle Informationen erhalten, um für sich persönlich entscheiden zu können, welche Punkte wichtig sind, und auf welche Punkte man eventuell weniger wert legt…Dazu muss man selbstverständlich ins Detail gehen. Aber eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist ja auch eine sehr wichtige Versicherung, was ja auch Finanztest richtigerweise sagt.
Klar ist, desto höher und detaillierter man die Messlatte an Kriterien und deren genauen Ausgestaltung im Bedingungswerk legt, desto weniger Tarife werden am Ende für den Kunden als Empfehlung herauskommen. Welche Inhalte genau wichtig sind, und welche weniger wichtig sind, sollte m.E. immer der Kunde am Ende für sich selbst entscheiden dürfen.
Weitere Informationen:
Mehr zum Thema Berufsunfähigkeitsversicherung …oder über Thomas Schösser.